Ein Job-Wechsel der besonderen Art: Außenstehende sehen das zumindest oft so, wenn sie sich mit Anita Thiel über ihren beruflichen Werdegang unterhalten. Für die gebürtige Oberbayerin selbst, 51, war es eher eine folgerichtige Entscheidung nach einer Art Zwischenbilanz: „Ich engagiere mich seit vielen Jahren ehrenamtlich in der katholischen Kirche. Als es irgendwann bei dem Medienhaus, bei dem ich arbeitete, karrieremäßig nicht mehr weiterging für mich, stellte ich mir die Frage: Was will ich noch Sinnvolles anfangen mit meiner restlichen beruflichen Zeit?“
Eine soziale Tätigkeit sollte es sein, das wurde ihr bald klar. Und so wechselte sie im Juni 2017 an das Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, zunächst als Team-Assistentin, seit Oktober 2019 arbeitet sie dort als Assistentin der Abteilungsleitung. Ihr Chef ist seit knapp fünf Jahren Oberkirchenrat Stefan Blumtritt, Jahrgang 1963, gebürtig in München und aufgewachsen in Füssen im Allgäu. Am Landeskirchenamt in München leitet der Theologe seit Dezember 2019 die Abteilung für „Gesellschaftsbezogene Dienste“ und ist damit zuständig für die Bereiche Schule, Bildung, Diakonie, Seelsorge und Medien.
Während des Studiums im Büro gejobbt
Diese Kombination gefällt Anita Thiel sehr. Tatsächlich findet sich darin vieles von dem, was der Office-Expertin im Leben wichtig war und ist. Von 1993 bis 1996 hat sie in München an der Ludwig-Maximilians-Universität das Fach Komparatistik studiert und mit Magister abgeschlossen: „Das Studium beschäftigt sich mit vergleichender Literaturwissenschaft, ein spannendes Thema. Besonders mochte ich Amerikanistik.“ Während des Studiums jobbte sie in Redaktionen von IT-Zeitschriften, die in den Neunzigern groß im Kommen waren, und landete schließlich in der Redaktionsassistenz eines Computerspiel-Magazins.
Bis auf Vorstandsebene wurde sie eingesetzt. Als sie ihre Magisterarbeit abgeschlossen hatte, war bereits das erste Kind da, drei wurden es schließlich, zwei Söhne und eine Tochter, der Jüngste ist mittlerweile 17.
„Bei dem Magazin, bei dem ich damals jobbte, wurde eine halbe Stelle in der Redaktionsassistenz frei. Das war für mich eine gute Möglichkeit, die Familie und den Beruf unter einen Hut zu bekommen. Ich mochte die Aufgaben, von Assistenz über Lektorat bis Leser-Service, und mir gefiel die Thematik Medien“. Sie blieb dem Verlag in der IT-Branche mehr als 17 Jahre lang treu.
Eine gute Zeit war das, erzählt sie, „ich habe gern in der IT-Unterhaltungs-Branche gearbeitet. Außerdem waren wir ein tolles Team dort, und ich hatte immer Chefs, die mich gefördert haben.“ Doch irgendwann hatte sie in ihrem Tätigkeitsbereich alles erreicht, „nach so vielen Jahren war die Zeit reif für einen Wechsel.“
„Ich bin richtig in diesem Beruf“
Dass sie dem Assistenzberuf treu bleiben würde, war für die damalige Redaktionsassistentin keine Frage. „Ich mag die Rolle der Assistenz. Mir gefällt die Bandbreite des Berufs und ich schätze die vielen Möglichkeiten, sich in unterschiedlichste Aufgabenbereiche einzuarbeiten.“ Über das Netzwerk IMA – International Management Assistants Deutschland –, bei dem sie seit Sommer letzten Jahres für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, kommt sie mit Kolleginnen und Kollegen weltweit ins Gespräch.
„Ich war im Frühjahr mit IMA auf einer internationalen Veranstaltung in Rom. Es war eine sehr herzliche und offene Atmosphäre dort, man verstand sich, der gemeinsame Beruf verbindet doch sehr.“ An ihrem jetzigen Arbeitsplatz kann die Abteilungsassistentin viel Know-how aus ihrem früheren Job einbringen. Und sie hat eine spezielle Weiterbildung absolviert, „Digitalisierungs-Coach in kirchlichen Kontexten“, ein Mix aus Online-Unterricht und Eigenarbeit über sechs Monate. Inhalte waren Projektmanagement, Change-Management, agile Arbeitsmethoden, digitale Abläufe, Social Media – „dabei stand der Mensch immer im Mittelpunkt. Wie organisiere ich meine Teams digital, wie nehme ich die Leute mit“ – diese Aspekte werden am Arbeitsplatz von Anita Thiel ernst genommen.
Beratende Funktion als Highlight
Neben den vielen Aufgaben, die mit dem Technologiewandel zu tun haben, bleibt das Zwischenmenschliche der wichtigste Bereich für die Assistentin. Ein Jahr lang hat sie sich mit einem Projekt beschäftigt, das die beiden Abteilungen „Gesellschaftsbezogene Dienste“ und „Ökumene und Kirchliches Leben“ zu einer gemeinsamen Abteilung „Kirche und Gesellschaft“ im Landeskirchenamt zusammengeführt hat. Ihr Chef Stefan Blumtritt leitet diese neue Abteilung seit September dieses Jahres. Die Zahl der Mitarbeitenden ist von rund 25 in der Abteilung D, in der Anita Thiel bislang eingesetzt war, auf 60 Personen gestiegen. Sie ist weiterhin Abteilungsassistentin für Stefan Blumtritt und teilt sich diese Aufgabe mit einer weiteren Kollegin. Insgesamt gibt es 13 Assistentinnen für die zusammengelegte Abteilung.
Neue Strukturen und Abläufe mussten geschaffen werden, Aufgaben umverteilt werden – eine große Anstrengung für alle. Eine Prozessbegleiterin hat den Weg von zwei zu einer Abteilung mitgestaltet und organisiert auch weiterhin die strategische und organisatorische Entwicklung. Es gab Workshops, Fortbildungstage und viele, viele Besprechungen. Anita Thiel hat das Projekt mit viel Einsatz und großer Freude von Anfang an mitbetreut, „es ist eine tolle Aufgabe, die über den üblichen Büroalltag hinausgeht. Für mich war die neue Herausforderung, dass ich in dem Projekt auch eine beratende Funktion hatte, das hat mir sehr gefallen.“
Überhaupt ist sie der Meinung, dass die Assistenz in einem Unternehmen beratende Aufgaben übernehmen kann, „das mag ich so an diesem Job.“ Mit Stefan Blumtritt hat sie einen Chef, der diese Kompetenzen zu würdigen weiß, das mache die Zusammenarbeit für beide sehr lebendig und effektiv, sagt Anita Thiel.
Zeit auch für andere Dinge
Zwei Tage die Woche arbeitet sie im Homeoffice, in Abstimmung mit ihrem Vorgesetzten. „Wenn mein Chef da ist, bin ich auch im Büro in der Stadt, weil die persönliche Begegnung eben doch etwas anderes ist als ein virtuelles Meeting.“ Mit ihrer Familie wohnt sie etwa eine Stunde außerhalb von München, da spart das Homeoffice eine Menge Fahrtzeit. Zeit ist für sie ohnehin zu einem wichtigen Teil ihrer Selbstfürsorge geworden, sie hat eine 32-Stunden-Woche. Was früher der Familie mit drei Kindern geschuldet war, ist heute ihr persönlicher Freiraum: „Ich habe einfach gemerkt, dass mir dieses Arbeitspensum Zeit für Dinge lässt, die mir auch wichtig sind.“ Nach wie vor die Familie, „auch wenn die Kinder mich natürlich nicht mehr so brauchen wie früher“, ihre ehrenamtliche Arbeit im Katholischen Kreisbildungswerk, und am Abend öfter mal ein guter Film: „Ich war früher eine regelrechte Cineastin. Auch heute noch gehe ich mit meinem Mann gern ins Kino.“ Ihr Netzwerk-Engagement kann sie mittlerweile gut mit ihrer Reise-Leidenschaft verbinden: „IMA ist für mich eben auch ein Tor zur Welt.“
Kritik an der Kirche nimmt sie ernst
Ihre Entscheidung für ein kirchliches Umfeld hat die Katholikin nicht bereut. „Ich empfinde die christlichen und geistlichen Impulse als sehr bereichernd“, sagt sie, „Gemeinschaftsveranstaltungen haben hier einen hohen Wert.“ Gleich an ihrem ersten Arbeitstag ging es nach Augsburg als Betriebsausflug, im Dezember gibt es einen Weihnachtsgottesdienst mit dem Landesbischof und anschließendes Zusammensein, regelmäßig finden morgens halbstündige Hausandachten statt, „als Angebot, kein Muss“. Und einmal im Jahr gibt es für alle Mitarbeitenden eine sogenannte zweitägige Rüstzeit, mit Workshops und anderen gemeinsamen Aktivitäten.
Die Arbeit in ihrer Abteilung gefällt ihr auch deshalb so sehr, „weil wir hier sehr viel mit Menschen zu tun haben. Bei uns geht es um das Miteinander.“ Dass die Institution Kirche generell gesellschaftlich in die Kritik geraten ist, erlebt sie natürlich auch, und sie bemerkt, dass das Interesse an der Kirche allgemein abnimmt. „Auch diese Entwicklung ist hier natürlich ein Thema. Es wird durchaus die eigene Relevanz hinterfragt und nach neuen Wegen zu den Menschen gesucht.“ Mit der Kritik kann sie umgehen, sie hört zu. „Es macht ja keinen Sinn, alles nur schönreden zu wollen. Was mir aber wichtig ist, und diese Position bringe ich in Gespräche ein: Kirche ist so viel mehr als das, was nicht gut gelaufen ist. Verlieren wir darüber nicht das Gute aus den Augen.“