Office Professionals haben heute ganz andere Möglichkeiten, sich beruflich in alle Richtungen zu entwickeln. Dabei entfernt sich das Berufsbild immer weiter von dem, was es einmal war: „Das Wort Sekretariat höre ich eigentlich nur noch in Schulen und Ämtern“, sagt Marit Zenk, ehemalige Vorstandsassistentin und seit mehr als 16 Jahren selbstständig und in der DACH-Region als Consultant für das Erfolgsteam Chef und Assistenz unterwegs. „Heute heißt es Office, und statt ‚fragen Sie mal im Sekretariat‘ wird auf konkrete Namen verwiesen – Führungskraft und Assistenz sind ein Team, die auf Augenhöhe miteinander arbeiten.“
Eigene Verantwortungsräume erschließen
Auch Saskia Hagendorf, Beraterin für effektive Zusammenarbeit von Assistenz und Führungskraft, erlebt in ihren Workshops eine deutlich größere Bandbreite des Assistenzberufs. „Es geht längst um viel mehr als nur Aufgaben abzuarbeiten“, sagt die Motivationsexpertin, die einst als Assistentin die Weltmeisterschaftskämpfe und öffentlichen Auftritte von Wladimir Klitschko managte. „Wer bereit ist, sich eigene Verantwortungsbereiche zu erschließen im Unternehmen, findet den nötigen Raum dazu, weil Admin-Aufgaben von immer smarteren Tools erledigt werden.“
Das habe einerseits zur Folge, dass der Beruf häufiger auch von Quereinsteigern entdeckt werde, und andererseits, dass es plötzlich Karrierewege gibt, die früher nicht denkbar waren – „und das wiederum hält oft gerade jüngere, ehrgeizige Assistenzen in dem Beruf, die ansonsten mangels Perspektiven womöglich ausgestiegen wären aus der Assistenz.“
Technisch rundum bewandert …
Das ist gut für den Chef oder die Chefin. Denn Führungskräfte brauchen in der allgegenwärtigen Arbeitsverdichtung vielfältige Unterstützung. Neben fachlichen Aufgaben und der operativen Steuerung des Unternehmens wird vom Management mehr denn je umsichtige und vorausschauende Mitarbeiterführung erwartet. In Zeiten von Fachkräftemangel, Homeoffice, Generationen X, Y, Z mit ihren jeweiligen Besonderheiten und wachsender Diversität in den Teams ist das eine große Herausforderung, die Mann oder Frau oft kaum allein leisten kann. Die reine Office-Tätigkeit wird dabei fast zur Nebensache, die einfach laufen muss und selbstverständlich immer auf der Höhe der Zeit ist, weiß Marit Zenk:
„Führungskräfte erwarten heutzutage, dass ihre Assistenzkräfte auf dem neuesten Stand sind, sich mit digitalen Tools auseinandersetzen, diese auch teilweise für ihr Unternehmen testen – welches Tool ist geeignet, um Geschäftsprozesse zu optimieren, welches bringt das Team beziehungsweise das Unternehmen nach vorn.“
Veränderungen, die mit neuen Arbeitskonzepten oder revolutionären Technologien wie derzeit KI einhergehen, sind von der Assistenz am besten schon im Voraus zu antizipieren, damit sie erstens einschätzen können, was an welcher Stelle Sinn macht, und zweitens Ansprechpartner sind, wenn es darum geht, Neuerungen den Mitarbeitenden nahe zu bringen.
… und Führungs-Know-how on top
Für das Zwischenmenschliche, im Übrigen immer schon ein inoffizieller, aber wesentlicher Auftrag für die Assistenz, hat die Assistenz nun oft sogar offizielle Fortbildungen absolviert, als Scrum Masterin beispielsweise, oder als Chief of Staff. „Der CoS ist gerade sehr im Kommen“, erlebt es Marit Zenk. „Dabei handelt es sich um eine hochrangige Position, die eher auf C-Level angesiedelt ist, nicht selten verbunden mit Boni und teilweise sogar Zielvereinbarungen für ein deutliches Gehaltsplus.“ Die Rolle kann variieren, weiß die Karriereberaterin, „sie umfasst typischerweise Aufgaben der strategischen Planung, die Koordination von Projekten, das Management von Prioritäten und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Abteilungen. Auch wird die Assistenz in dieser Rolle in Entscheidungsfindungen noch mehr mit eingebunden, womit mehr Befugnisse und gleichzeitig mehr Verantwortung einhergeht.“
Team-Exzellenz im CEO-Tandem, so beschreibt Trainerin Saskia Hagendorf eine aktuelle Anforderung an die Zusammenarbeit von Chef oder Chefin und Assistent oder Assistentin auf Top-Ebene. Ständige Weiterbildung sei dafür unerlässlich, weiß sie als Beraterin solcher Teams.
Chancen deutlich besser nutzen
Doch wie entscheidet man sich für die richtige Weiterbildung? Und werden die Chancen überhaupt genügend genutzt: Haben die Assistenzen neben ihrem viel zitierten „Dienstleister-Gen“ mittlerweile auch einen Antrieb in eigener Sache?
Für Saskia Hagendorf zählen neben dem fachlichen Up-to-date-Bleiben – „das ist selbstverständlich“ – vor allem individuelle Vorlieben. Als Motivationsexpertin weiß sie, dass Energie in der Regel nur dann über längere Zeit voll abrufbar ist, wenn etwas richtig Freude macht, fast selbstbelohnend ist.
Die Community Managerin hat für sich diesen Weg gefunden, sie orientiert sich als Sportlerin an den inneren Antreibern – „die sind auch bei der Auswahl von Karrierechancen ungeheuer wichtig“. Tatsächlich werde das eigene Potenzial aber oft noch nicht so genutzt, wie es möglich wäre, bedauert sie, das habe wohl immer noch mit dem alten Rollengedanken zu tun, eben doch ‚nur‘ die Unterstützung zu sein.
Marit Zenk, die ihre Kundinnen und Kunden fachlich und bei der gezielten Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützt, spricht gar von einer „Achillesferse“ bei weiblichen Berufskarrieren: „Eine Frau hat in der Regel den Anspruch an sich selbst, einen Job nur dann anzunehmen, wenn sie tatsächlich alle Anforderungen erfüllt. Selbst wenn sie neun der zehn genannten Kriterien erfüllt, bleibt ihr ein Gefühl der Unsicherheit.“ Diese Hürde empfinden Männer meist deutlich geringer, ist ihre Erfahrung: „Sie ergreifen die Chance, selbst wenn sie nur drei von zehn Anforderungen passend beantworten können.“
Ursachen für diesen Ich-wage-es-Gap gebe es viele, meint sie, von geringerem Selbstwertgefühl bis hin zur tradierten Erziehung in Rollenklischees. Chancen würden deshalb oft nur von denen genutzt, die es wirklich wollen.
Ihr Fazit und ihre Handlungsdevise mit einem Augenzwinkern: „Mir sind es noch zu wenige, die sich trauen. Aber als Mentalcoach bin ich dran!“
„Job-Crafting“ passend zur individuellen Lebensplanung
Was raten die beiden Karriere-Expertinnen also jenen, die mehr wollen – oder vielleicht erst noch davon träumen? Natürlich hänge das auch von der jeweiligen Lebenssituation ab, sagt Saskia Hagendorf, „Weiterbildung kostet Zeit und Kraft, das muss passen.“ Doch da es Weiterbildung in Zeiten von Online-Learning und Blended Learning quasi „a la carte“ gebe, und durchaus auch in Häppchen, ließe sich der Job auch ganz allmählich in die gewünschte Richtung formen, Stichwort „Job-Crafting“: Man kann ja auch mit einzelnen Aspekten anfangen und sich entsprechend dimensionierte Fortbildungen heraussuchen. Kleinere Bausteine können auch eine Karriere bilden.“
Marit Zenk verweist ebenfalls auf die individuelle Lebensführung, die unbedingt berücksichtigt werden sollte, und auf einen Aspekt, den eigentlich alle Expertinnen und Experten für berufliches Reüssieren ins Feld führen: „Wer ehrgeizig ist und aufsteigen möchte, sollte gut netzwerken können und ein Händchen haben für Selbstmarketing. Mut und Klarheit gehören ebenfalls dazu. Bestimmte Schlüsselpersonen sollten wissen, was Sie vorhaben und idealerweise zu Förderern Ihrer Ambitionen und Anstrengungen werden.“
Immer nur steil nach oben?
Sie gibt aber noch einen weiteren Hinweis: „Klären Sie für sich, was Sie eigentlich unter dem Begriff ‚Karriere‘ verstehen. Die meisten Menschen gehen dabei von einer ansteigenden Kurve aus. Mir gefällt der Begriff ‚Laufbahn‘ besser, da ist nicht so viel Druck im Spiel. Eine berufliche Laufbahn kann auch linear verlaufen, ja sogar eine Kurve in die andere Richtung sein. Ich kenne Menschen, die sind aus dem Karrieredenken ausgestiegen und machen heute ganz andere Dinge. Wir leben in einem Zeitalter, wo der Mensch sinnstiftend arbeiten möchte, und zumindest wir hier in einer Wohlstandsgesellschaft haben oft die Wahl. Das ist eine große Freiheit, die man nutzen sollte.“
Ob es also im Job karrieremäßig nach oben gehen soll, ob inhaltlich mehr Tiefe gewünscht ist, vielleicht beides kombiniert – oder ob eine Aufgabe neben oder nach dem eigentlichen Beruf den Wunsch nach Selbstwirksamkeit am besten erfüllt: Für die Consultant für Top-Assistenzen zählt nach Jahrzehnten Beratung und Coaching vor allem Selbstbestimmtheit: „Ich empfehle, die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie gezielt zu entwickeln und dabei die eigenen Werte und Lebensmotive niemals aus den Augen zu verlieren.“