Nadine Götz erinnert sich: „Als mein Kollege tränenüberströmt zurückkam ins Büro, weil er gerade die Kündigung erhalten hatte, da war es auch mit meiner Fassung vorbei.“ Kann ich hier noch bleiben, habe sie sich damals gefragt, Mitte 2000 war das, „in einem Unternehmen, das so mit seinen Leuten umgeht“, das ein Klima der Angst in Kauf nimmt, statt klar zu kommunizieren, was Sache ist – „allerdings hätte das wohl auch nichts an der Tatsache geändert, dass ein massiver Stellenabbau vorangetrieben wurde.“
Die Kündigungen bei dem Touristikunternehmen kamen in mehreren Phasen, es werde umstrukturiert, hieß es lapidar: „Jeden Morgen fuhr man mit einem mulmigen Gefühl im Bauch in die Firma. Immer war da der Gedanke, wirst du heute womöglich in die Führungsetage zitiert und erhältst die Kündigung …“ Anfang der 2000er-Jahre krempelte der Internet-Boom die Reisebranche um und manövrierte viele Unternehmen in die Pleite oder eben nahe dran. „Als ich ging, waren von ehemals 250 Leuten noch 80 da“, erzählt Nadine Götz, die sich nach vielen Jahren Hoffen und Bangen schließlich einen neuen Arbeitgeber gesucht hatte.
Mit dem Wechsel habe sie viel zu lange gewartet, meint sie heute, aber die ständige Unsicherheit im Unternehmen habe ziemlich auf das Selbstwertgefühl gedrückt, „mir fehlte einfach der Mut, in die Arbeitswelt hinauszugehen und mir etwas Neues zu suchen.“ Als sie den Entschluss gefasst hatte, „war das unglaublich befreiend. Die letzten zweieinhalb Wochen in der alten Firma bin ich gut gelaunt nach Hause gegangen, weil ich wusste, da ist eine neue Firma, die freut sich wahnsinnig auf mich. Plötzlich bin ich wieder jeden Tag emotional mit geradem Rücken aufgestanden.“
Neue Arbeitswelten, alte Ängste?
Angst am Arbeitsplatz ist offenbar weit verbreitet: Mehr als die Hälfte (59 %) empfinden mindestens einmal die Woche Angst im Job, fast jeder Fünfte (17 %) sogar täglich. Das fand in einer Umfrage die Plattform für psychische Gesundheit Headspace* heraus. Rund 1000 Angestellte wurden dafür in Deutschland befragt, vor einer Kündigung fürchteten sich demnach rund ein Drittel der Befragten (32%). Deutlich größer war die Sorge vor noch mehr Verantwortung (47 %), vor der Unberechenbarkeit, die der Job mit sich bringt (46 %) und die Befürchtung, durch eine Technologie ersetzt zu werden (39 %).
Ein angstfreies Arbeitsklima ist zwar ein wichtiger Bestandteil vieler New Work-Ansätze. Hierarchien werden aufgebrochen und Kommunikationsebenen verbessert, um eine Umgebung zu schaffen, in der Mitarbeiter sich frei fühlen, Ideen zu äußern, Risiken einzugehen und innovative Lösungen zu entwickeln. Doch die Realität in verschiedenen Unternehmen und Organisationen variiert durchaus.
Neue, modernere Arbeitsstrukturen garantieren nicht automatisch ein angstfreieres Arbeitsumfeld: Faktoren wie Führungskultur, Unternehmenswerte und individuelle Dynamiken wirken sich auf das Arbeitsklima aus und können Ängste oder Unsicherheiten hervorrufen, selbst wenn New Work-Praktiken implementiert wurden.
Psychologische Sicherheit als Anker
Das bestätigt Claudia Michalski, Diplom-Volkswirtin und geschäftsführende Gesellschafterin der OMC OpenMind Management Consulting GmbH in Berlin. Als Certified Business and Life Coach (ECA), positive Psychologin und ehemalige Medien-Managerin beschäftigt sie sich seit fast zehn Jahren mit der Beratung von Unternehmen und Führungskräften. Um Angst gehe es dabei selten ganz direkt, aber: „Wir setzen in Unternehmen häufig Teamentwicklungen auf, für die wir zunächst eine Standortanalyse in Interviewform machen. Man erfährt in diesen Interviews häufig, wie viele Ängste im Spiel sind. Es ist meine Aufgabe, das dem entsprechenden Manager zu spiegeln.“
In einem ihrer Blog-Beiträge beschreibt sie, was für sie eine der wesentlichen unternehmerischen Schlüsselkompetenzen in Zeiten turbulenten Wandels ist: die Fähigkeit, psychologische Sicherheit zu vermitteln. Der Begriff stammt von der US-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Amy C. Edmondson, ihre Arbeiten zu dem Thema haben die Professorin für Führung und Management an der Harvard Business School bekannt gemacht. Edmondson rät zu einer Unternehmenskultur, „in der Mitarbeitende das Gefühl haben, dass sie Ideen, Bedenken oder schlechte Neuigkeiten ansprechen können, ohne Angst zu haben, ausgebremst, zurechtgewiesen oder gedemütigt zu werden.“
* „Annual Workforce Attitudes Toward Mental Health Report“, Headspace, 2023
Den vollständigen Artikel lesen Sie in working@office.