Einerseits nehmen die Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen in den letzten Jahren laut den Jahresberichten der Krankenkassen stetig zu. Andererseits steigt langsam die Offenheit, mit der über Themen wie Burnout und mentale Gesundheit gesprochen wird, vor allem in den jüngeren Generationen. Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit, wird immer wieder als wichtiger Faktor im Rahmen von Prävention genannt, kann jedoch auch missverstanden und instrumentalisiert werden. Denn es geht bei Resilienz weder darum, sich jedem Stress anpassen zu können, noch diesen komplett zu vermeiden.
„Wir sollten Stressoren aktiv angehen, denn das Leben bringt automatisch Krisen mit sich. Das lässt sich nicht vermeiden“, sagt Dr. Tatjana Reichhart, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Coach und Ausbilderin in der Kitchen2Soul Akademie in München.
Was wir über Burnout wissen sollten
Burnout ist ein potenzieller Risikofaktor für stressassoziierte psychische und körperliche Erkrankungen. Die Symptome wie chronische Erschöpfung, eine negative Einstellung zur Arbeit und Leistungsabfall entstehen, wenn wir zu lange über unsere Grenzen gehen und zu wenig auf unsere Regeneration achten. „Das heißt, wenn wir unsere grundlegenden menschlichen Bedürfnisse vernachlässigen: nach Schlaf, Erholung, Bewegung, Essen und Trinken sowie nach sozialen Kontakten“, erklärt Tatjana Reichhart. Es sind oft Menschen betroffen, die sehr engagiert sind, ein hohes Verpflichtungsgefühl haben und sich über die Maßen anstrengen, um die Arbeitslast zu bewältigen.
Generell sollten wir alle um unsere körperlichen und psychischen Warnzeichen bei Stressbelastungen wissen. Das können zum Beispiel Schlafstörungen, ein Tinnitus oder ständig wiederkehrende Infekte sein. Andere haben keine Kapazitäten zum Zuhören, sind gereizt, müssen immer beschäftigt sein oder können nicht mehr stillsitzen. Auch Sätze wie „Ich muss noch ...“ und „Das geht nicht anders ...“ können Warnzeichen sein.
„Daran erkennen wir, dass durch den erhöhten Stresshormonspiegel das Denken eingeengt ist“, so Tatjana Reichhart. Wenn wir unsere persönlichen Anzeichen von zu hoher Belastung kennen und erkennen, haben wir noch die Möglichkeit einzuschreiten und etwas zu ändern. Wer die Warnzeichen beiseite schiebt, kann hingegen langfristig in einen Prozess dauerhafter Erschöpfung rutschen.
Was psychologisch fundierte Resilienz ist
„Die wichtigste Prävention ist zu verstehen, dass ich immer auch andere Wurzeln im Leben brauche als nur die Arbeit“, gibt Tatjana Reichhart zu bedenken. Wer lernt, funktional mit Stressoren und Herausforderungen umzugehen und gesunde Lösungen zu finden, entwickelt das persönliche Rüstzeug für die nächste Krise. Widerstandsfähigkeit und Durchhaltevermögen entstehen, wenn wir uns einerseits etwas zumuten und die Komfortzone verlassen und andererseits dabei das richtige Maß halten – und das ist subjektiv.
Doch es sei nicht nur das Verhalten des Individuums wichtig, sondern auch die Verhältnisse, mahnt Tatjana Reichhart. Es geht also auch um resiliente Umgebungen, hier spielt im Unternehmenskontext gesunde Führung eine maßgebliche Rolle. Das heißt: Wenn extremer Zeitdruck, zu hohe Arbeitslast und eine mangelhafte Fehlerkultur am Arbeitsplatz vorherrschen und die Führungskraft kein Verständnis zeigt, ist es eher sinnvoll, über einen Wechsel nachzudenken, als sich selbst dafür verantwortlich zu machen oder zu fühlen.
Resilienz sei kein magischer Schutzschild, so Reichhart. Vielmehr sei es ein persönlicher Methodenkoffer, den wir dynamisch über die Lebensspanne hinweg und situationsspezifisch einsetzen können. Dann können wir mit privaten und beruflichen Herausforderungen so umgehen, dass sie uns nicht nachhaltig beeinträchtigen im Sinne der eigenen psychologischen und körperlichen Unversehrtheit.
Wie wir persönliche Resilienz-Strategien entwickeln
Im Fall von Krisen und dauerhaften Stressbelastungen geht es bei psychologisch fundierter Resilienz darum, relativ zügig wieder in einen guten Zustand zu kommen. Wie können wir also unsere Ressourcen aktivieren, wenn wir merken, dass es uns nicht gut geht? Tatjana Reichhart empfiehlt sich an den sechs Resilienzfaktoren zu orientieren: Selbstregulationsfähigkeit, Optimismus, soziale Beziehungen, Selbstwirksamkeit, Lösungs- und Zukunftsorientierung sowie Sinn- und Werteorientierung.
Zum Beispiel erleben wir uns als selbstwirksam, wenn wir uns in stressigen Situationen fragen: Was kann ich ändern und was nicht? Worauf habe ich Einfluss? Was ist der nächste Schritt? Kann ich die unveränderbaren Umstände akzeptieren? Kann ich mich ablenken? Wie kann ich mich regulieren, ohne mich über Dinge zu ärgern, die ich nicht ändern kann? Es geht darum, ehrlich zu sich selbst zu sein und demzufolge Entscheidungen zu treffen. „Wenn ich etwas tue, fühle ich mich selbstwirksam und das gibt mir Energie zurück“, erklärt Tatjana Reichhart. Wenn es viel in unserem Leben gibt, das wir nicht beeinflussen können, hilft es, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die wir verändern können.